BESTANDSAUFBAU UND ERWERB IN ARTOTHEKEN Alexandra Otto (Leiterin der Graphothek Berlin) Inhalt 1 Bestandsaufbau 1.1 Beschaffung eines Grundbestandes Im allgemeinen steht zu Beginn der Artotheksarbeit ein Grundstock an Kunstwerken zur Verfügung, der bereits für den Aufbau der Sammlung richtungsweisend sein kann. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, an ungenutzte Kunstbestände zur Artotheksgründung heranzukommen. 1.2 Tauglichkeit der Objekte für den Verleih Nicht alle Kunstwerke sind aus praktischen Gründen zum Verleihen geeignet. Daher ist zu überlegen, welche Exponate in einer Artothek von der Handhabung her brauchbar sind, z. B. nicht zu empfindlich, zu schwer, zu groß oder zu wertvoll. 1.3 Ausbau des Grundstocks Dem gezielten Auf- und Ausbau der Sammlung kommt programmatische Bedeutung zu. Die Zielsetzung einer Artothek wird von vielen verschiedenen Faktoren wie z. B. Träger, Ortsgröße, Einzugsbereich, Finanzierung u.s.w. bestimmt. 2 Der Erwerb 2.1 Spende, Schenkung, Leihgabe, Kommission, Kauf 2.2 Organisatorischer Ablauf Vor- und Nachteile einer Ankaufsjury, Zusammensetzung der Jury; Anforderung, Einlieferung, Rückgabe der zum Kauf angebotenen Werke. 2.3 Bezugsquellen Direktkauf beim Künstler, Kauf bei Galerien, Kunstverlagen, Mitgliedschaften in Graphikringen u Kauf auf Auktionen, etc. 2.4 Überlegungen zum Begriff Original 1 Bestandsaufbau 1.1 Beschaffung eines Grundbestandes Da eine Artothek ihre Arbeit nur beginnen kann, wenn sie über eine Mindestanzahl an verleihfähigen Stücken verfügt und die Kosten für Einrichtung, Zubehör, Miete etc. bereits eine beträchtliche Investition darstellen, liegt es nahe, sich nach einem Grundstock an Kunstwerken umzusehen, der nichts kostet. Oft gibt es Kunstsammlungen, Depots etc, die genutzt werden sollen, für die die Besitzer (Museen, Künstlerverbände u. ä.) selbst jedoch keine Verwendung haben. Es lohnt sich also, bei Kunstvereinen, Künstlerverbänden, Künstlerselbsthilfeorganisationen, Museen nachzufragen, ob sie bereit sind, die Artothek durch Überlassung von Dubletten oder selbst nicht nutzbaren Arbeiten zu unterstützen, Möglicherweise gelingt es auch, einen Mäzen zu gewinnen. Größere Firmen haben oft Kulturfonds, auch engagierte Sammler sind eventuell zu Sachspenden bereit. Voraussetzung ist natürlich, dass es gelingt, die zuständigen Personen und/oder Institutionen davon zu überzeugen, dass Artotheken kulturelle Einrichtungen von Bedeutung sind, dass die Kunstwerke sachverständig behandelt werden und dass sowohl Künstler wie auch eine breitere Öffentlichkeit davon Nutzen haben. Eine weitere Möglichkeit, Kunst zum Null-Tarif zu beschaffen, sind kommunale Künstlerhilfsprogramme. Es existieren vielerorts Sammlungen von Ankäufen der öffentlichen Hand, die für die Ausgestaltung von Diensträumen gedacht sind, aber nur wenig genutzt werden. Manchmal sind bei den zuständigen Finanzbehörden Künstlernachlässe vorhanden, für die eine nicht-kommerzielle Verwendung im Rahmen öffentlicher Einrichtungen gesucht wird. Es gibt also allerlei Möglichkeiten, zu einem Grundstock zu kommen, der zunächst einmal nichts kostet. Hat man einen solchen Sammlungsbaustein bekommen, muss das Vorhandene gesichtet werden. Was eignet sich nicht zum Verleih, was ist in zu schlechtem Zustand, was gefällt gar nicht. Beim verbliebenen (hoffentlich großen) Rest prüft man, ob bereits ein bestimmter erkennbarer Charakter vorliegt, der sich zu einem Programm ausbauen lässt. | |||
1.2 Tauglichkeit der Objekte für den Verleih | |||
Bei der Überlegung, was zum Verleih ungeeignet ist, stellen sich folgende Fragen:
- Ist das Exponat bruchempfindlich? - Wie empfindlich ist die Oberfläche bei Bildern und Graphik? - Leidet das Exponat durch Erschütterung, Licht, Feuchtigkeit? - Ist es auf Grund seiner Größe, seiner Form und/oder seines Gewichts schwer zu transportieren? - Kann man es gut genug vor Zerstörung, Bruch, unsachgemäßer Behandlung schützen? - Wird dieser Schutz zu teuer? Aus diesen Problemstellungen ergeben sich bereits einige Parameter, an denen die Sammlungsteile gemessen werden müssen. Folgendes ist wichtig zu wissen: Bei Plastiken und Objekten hängt die Empfindlichkeit vom Material ab. Stein, Metall und Kunststoff (z. B. Plexiglas) sind relativ problemlos; Glas, Porzellan und Keramik dagegen sind sehr bruch- und stoßempfindlich. Objekte aus Holz sind heikel bei Wechsel von Temperatur und Luftfeuchtigkeit. Ölgemälde leiden durch Reißen und Abplatzen der Bildhaut, z. B. bei häufigem Bewegen oder Berührung. Bei zeitgenössischen Bildern ist leider oft die Aufbereitung des Untergrundes unzureichend. Die Grundierung der Leinwand fehlt manchmal ganz, so dass Öl- und Temperaschichten auf Dauer nicht am Untergrund haften. Collagen sind heikel, wenn sie, der Tradition folgend, Zeitschriften als Rohmaterial verwenden. Tiefdruckpapier verfällt schnell, außerdem schlägt oft nach einiger Zeit der Kleber durch. Die Arbeiten neigen bei höherer Luftfeuchtigkeit zu starken Verziehen, hervorgerufen durch die Schichtung unterschiedlichen Materials. Pastelle neigen trotz Fixierung zu starkem Stäuben. Viele Künstler lehnen Fixierung außerdem ab, da sie die Farben verändert und den gewünschten pudrigen Charakter beeinträchtigt. Solchen Arbeiten bekommt häufiges Bewegen sehr schlecht. Da die Verglasung von innen stark einstaubt, muss der Rahmen öfter geöffnet und gereinigt werden; auch das ist für Pastelle schädlich. Zeichnungen mit Kugelschreiber oder Filzstift neigen zu starkem Verblassen, sollten sie eine Restaurierung nötig haben, verursachen sie besondere Probleme. Aquarelle sind hochgradig lichtempfindlich, die Farben verblassen. Sie können sich bis zum völligen Umschlagen verändern, z. B. blau wird grün. Die Anfälligkeit für Veränderungen ist je nach Farbton und Qualität verschieden, so dass die ursprüngliche Komposition mit der Zeit vollkommen verfälscht werden kann. Bei Druckgraphik ist der Siebdruck am empfindlichsten. Die sehr geschlossene Oberfläche, besonders wenn stumpfe und glänzende Farben übereinandergedruckt sind, bildet eine Haut, die zum Reißen und Springen neigt. Wenn das Papier häufigem Wechsel von trocken und feucht, warm und kalt ausgesetzt ist, schrumpft und dehnt es sich immer wieder - ein Prozess, den die Farbschicht nicht gleichermaßen mitvollzieht. Siebdrucke sind sehr kratzempfindlich. Schäden lassen sich nicht restaurieren. Wenn es am Ort ein städtisches Museum mit einem fest angestellten Restaurator gibt, sollte man versuchen, ihn für die konservatorischen Probleme der Artothek zu interessieren. Auf dem Wege der Amtshilfe könnte er bei schwierigen Fragen zu Rate gezogen werden. Diese Aufzählung von Problemen soll nicht dazu führen, von der Verwendung all dieser Kunstwerke generell Abstand zu nehmen, sondern es soll auf mögliche Gefahren und daraus resultierende Kosten hingewiesen werden, damit man ihnen angemessen begegnen kann. Dass mit Verlusten zu rechnen ist, schon allein durch Verschleiß, muss man einkalkulieren und daher gut abwägen, wo der Schaden beginnt, den Nutzen zu überwiegen. Sollten sich bedeutende und kostbare Unikate in der Sammlung befinden, kann man sie selbstverständlich nicht verleihen. Ein Nolde-Aquarell im Wert von möglicherweise 50.000 DM gehört nicht in eine Artothek, auch wenn die Versuchung groß sein mag, so etwas Illustres anzubieten. (Derart großzügige Geschenke dürften auch höchst selten einer Artothek zuteil werden; eine Möglichkeit, vernünftig damit umzugehen, wäre dann der Tausch mit einem Museum.) Zusammenfassend lässt sich über die Verleihtauglichkeit von Exponaten sagen: Druckgraphik ist am einfachsten zu handhaben. Sie lässt sich gut schützen, ist relativ preiswert, ist ersetzbar, verhältnismäßig unempfindlich und leicht zu lagern. Unikate auf Papier (Aquarelle, Zeichnungen, Pastelle, Mischtechniken etc.) sind ebenfalls, bei sorgfältiger Rahmung, einfach im Verleih, haben aber größere materialbedingte Verfallsrisiken, sind wesentlich teurer in der Anschaffung und bei Verlust unersetzbar. Gemälde (Öl, Acryl, Tempera auf Leinwand) sind oft vom Format her schwer zu transportieren, das Gewicht ist allerdings relativ gering. Die Rahmung bietet keinen Schutz vor Berührung der Bildhaut. Die Erfahrung zeigt, dass beim Aufhängen und auch beim Verpacken immer wieder am selben Fleck auf die Leinwand gegriffen wird, an diesen Stellen gehen Tempera und Ölfarbe im Laufe der Zeit ab. Nur Acrylfarbe ist dem gewachsen. Gemälde sind noch teurer als Unikate auf Papier, bei den Entleihern jedoch besonders beliebt. Plastiken und Objekte sind nur geeignet, wenn sie nicht zu schwer und zu groß sind. Als Materialien eignen sich am besten Holz und alte Arten von Metallguß. Arbeiten aus Gips, Ton, Porzellan, Glas, Papier, Karton erfordern sehr vorsichtigen Umgang, den man bei den Entleihern nicht erwarten kann. Vor mehrteiligen und/oder zerlegbaren Objekten wird gewarnt (z. B. Berrocal), über kurz oder lang fehlen Teile. Die Anschaffung ist teuer, allerdings sind Objekte derzeit stark gefragt. Fotos sind wahrscheinlich vorerst ein Randgebiet für Artotheken. Will man sie verleihen, muss man sie in den meisten Fällen fest aufziehen, da sie oft nicht plan sind. Dazu muss ein Spezialkleber verwendet worden, der auch nach Jahren nicht durchschlägt. Eine Ablösung von der Unterlage ist nicht mehr möglich. Man muss mit Schichtveränderungen, d. h. Farbveränderungen, Vergilbungen, rechnen. Fotos sind wärmeempfindlich, bei Hochglanzabzügen (Profiarbeiten sind in der Regel hochglänzend) kommt gelegentlich Fleckenbildung vor. Die Preise für Original-Abzüge sind den Preisen für Druckgraphik vergleichbar. Plakate sind derzeit ebenfalls eher eine Randerscheinung in Artotheken. Wenn man Plakate wie Graphik rahmt, sind sie problemlos beim Verleih. Sie haben keinen Seltenheitswert und sind daher nicht kostbar (von Ausnahmen wie Original-Litho-Plakaten von Toulouses Lautrec natürlich abgesehen). Erforderlich ist lediglich ein Lichtschutz, um den Prozeß des Verblassens hinauszuzögern. Ganz aufhalten lässt er sich nicht. Man verwendet am besten ein Lichtschutzspray, das aber nur bei Lithos (übliche Drucktechnik bei Plakaten) angewendet werden darf. Siebdruckplakate könnten das Spray übelnehmen (Lösungsmittelunverträglichkeiten). Bei der Überlegung, was sich zum Verleihen eignet, sollte man Ober- und Untergrenzen für Gewicht und räumliche Ausdehnung festlegen. Graphiken über 80 x 100 cm, bzw. die entsprechenden Rahmen, sind schwer zu handhaben und daher gefährdet. Exponate unter DIN A 4 Größe sind stark diebstahlgefährdet. Objekte mit mehr als 15 kg Gewicht sind schwer zu transportieren. Für Gemälde sollte als Obergrenze die Transportierbarkeit im normalen Pkw angesehen werden. Neben der Frage nach der materialbedingten Verleihtauglichkeit stellt sich eine weitere, viel schwieriger zu beantwortende Frage: Was kann man denn verantworten zu verleihen? Beim Nolde-Aquarell ist der Fall klar, aber wo ist die Grenze nach unten? Kunst verlangt Öffentlichkeit und Auseinandersetzung. Beides bietet eine Artothek besonders intensiv. Kunstwerke bedürfen jedoch auch einer gewissen Vorsicht im Umgang mit ihnen. Die ernst zu nehmende künstlerische Äußerung eines Menschen hat ein natürliches Anrecht auf Respekt. Kunst kann man nicht einfach "verbrauchen" nach dem Motto "ex und hopp". Am Beispiel von Aquarellen lässt sich das Gemeinte gut verdeutlichen. Durch ihre raffinierte Kombination von Farbintensität, Leuchtkraft und Zartheit gewinnt ein Aquarell bereits aufgrund der dem Material innewohnenden Qualitäten Freunde, und zwar auch dann, wenn das Sujet fremd ist und/oder die Verarbeitung ungewohnt erscheint. Das heißt, ein Aquarell in einer Artothek erreicht seinen didaktischen Zweck besonders gut, aber die Existenzbedingungen eben dort bedrohen sein Überleben. Die hochgradige Empfindlichkeit des Materials ist bekannt. Ob man diesen absehbaren Verfall verantworten kann, ob der didaktische Zweck Vorrang vor dem Schutz des Kunstwerkes hat oder nicht, ist eine Gewissensfrage, auf die jede Artothek eine eigene Antwort finden muss. Es wird dazu immer unterschiedliche Standpunkte geben, ein eindeutiges Richtig oder Falsch gibt es nicht. Zweifel dieser Art stellen sich bei Druckgraphik und Multiples viel seltener ein. Verluste sind zwar bedauerlich, aber im allgemeinen ersetzbar, zumindest ist das Kunstwerk nicht endgültig verloren, da weitere Exemplare existieren. Von daher spricht vieles für eine Beschränkung auf Druckgraphik und Multiples als Leihgegenstände in einer Artothek. | |||
1.3 Ausbau des Grundstocks | |||
Nachdem man festgelegt hat, was sich zum Verleih eignet und welche künstlerischen Techniken man anbieten möchte, stellt sich die Frage nach der inhaltlichen Beschaffenheit der Sammlung. Der Grundbestand mag bereits in eine Richtung weisen, aber viele weitere Faktoren müssen berücksichtigt werden.
Was soll das Ziel der Artothek sein? Künstlerförderung? Verkaufsförderung? Kunstvermittlung? Wo die Schwerpunkte liegen und wie effektiv das eine und/oder andere gemacht werden kann, hängt von mehreren Dingen ab. Ist der Träger eine kommunale Institution, in der traditionell der Bildungsgedanke verwurzelt ist, wird sie Prioritäten bei der Kunstvermittlung setzen (z. B. Museen, Bibliotheken). Eine private Institution wie ein Kunstverein, Künstlerverband oder eine Künstler-Selbsthilfegruppe wird die Förderung des Verkaufs im Auge haben, also eher Künstlerförderung betreiben wollen. Die eigentliche Intention des Trägers wird also den Charakter der Sammlung wesentlich mitbestimmen. Natürlich spielt auch die Ortsgröße eine Rolle, weil davon die Stellung der Artothek im Kulturleben des Ortes abhängig ist. Die Aufgaben in einer kleinen Gemeinde sind weitreichender als in der Großstadt, wo andere ergänzende Institutionen zur Verfügung stehen. In einem kleinen Ort kann eine Artothek zum Zentrum für zeitgenössische Kunst werden, was für den Aufbau der Sammlung eine besondere Verantwortung bedeutet. In einer Millionenstadt wie Berlin stellen die Artotheken lediglich eine Ergänzung zum vorhandenen Kulturangebot dar. Hier wird die Künstlerförderung institutionell betrieben mit weit mehr finanziellen Mitteln, als die Artotheken zur Verfügung haben. Der Ausstellungsbetrieb wird von unzähligen Galerien unterhalten. Hochkarätig ausgestattete Museen decken den kunsthistorisch relevanten Bereich ab. Die Aufgaben einer Artothek hier sind also in erster Linie didaktischer Art; sie setzen da ein, wo die anderen Institutionen nicht greifen. Wichtig ist nicht nur die Ortsgröße, sondern auch das Einzugsgebiet. Eine ländliche, konservative Gemeinde z. B. kann man nicht, jedenfalls nicht gleich, mit politisch brisanter Kunst anlocken. Eine Universitätsstadt, vielleicht mit guter künstlerischer Ausbildungsstätte, kann man nicht mit Landschaftsdarstellungen lokaler Kunstgrößen in Begeisterung versetzen. Zu bedenken ist auch, ob und wenn ja, welche Verpflichtungen man als Träger hat. Wie weitgehend ist ein Kunstverein den Wünschen seiner Mitglieder gegenüber verpflichtet? Hat ein Museum bereits einen Sammelschwerpunkt, der auf die Artothek zu übertragen ist? Ist man als Künstlervereinigung auf den Erwerb von Bildern der Mitglieder angewiesen? Diese und ähnliche Abhängigkeiten, die möglicherweise zwischen Träger und Artothek bestehen, sollte man zu Beginn der Sammeltätigkeit klären. Was bedeuten nun die einzelnen Schwerpunkte? Künstlerförderung Künstler sollen durch Erwerb von Kunstwerken seitens der Artothek finanziell unterstützt werden. Außerdem soll durch den Verleih die Nachfrage nach Werken dieser Künstler von privater Seite gefördert werden. Durch die Präsentation in der Artothek (Ausstellung und Dokumentation) soll ihr Bekanntheitsgrad erhöht werden, sie erhalten Gelegenheit, Öffentlichkeit zu gewinnen. Diese erheblichen Vorteile sollen natürlich in erster Linie solchen Künstlern zuteilwerden, die noch nicht arriviert, nicht im Geschäft sind. Mit anderen Worten: die Bedürftigkeit hat hier Vorrang. Steht bei der Anschaffung von Kunstwerken also das soziale Element im Vordergrund, müssen stilistische oder thematische Zusammenhänge in der Sammlung hinten anstehen. Wenn das Kriterium der Bedürftigkeit Priorität hat, wird die Forderung nach Qualität zurückgestellt. Das kann zu beschämenden Mängeln im Angebot der Artothek führen, die den Entleihern nur schwer zu erklären sind. Verkaufsförderung Will man generell den Verkauf von Kunstgegenständen fördern und dafür neue Käuferschichten gewinnen, muss man sich auf den Geschmack dieser neuen Kunstfreunde einrichten. Wie ein Blick in gut florierende "Gemäldehandlungen" zeigt, gehen Kaufkraft, Bildung und künstlerisches Qualitätsbewußtsein selten eine Allianz ein. Die Gretchenfrage, was Kunst, Kunstgewerbe, Kitsch ist, wird, wenn es um finanzielle Erfolge geht, selten zugunsten der Kunst entschieden. Dass Artothekbenutzer relativ häufig Kunstwerke erwerben, jedenfalls statistisch gesehen wesentlich häufiger als Museumsbesucher, ist erwiesen. Um aber die Nachfrage auf breiter Basis zu erhöhen, muss man dem Publikumsgeschmack wahrscheinlich so weitreichend entgegenkommen, dass man den Namen "Art"othek nicht mehr verdient. Kunstvermittlung Die Kunst des Sehens ist etwas, das man trotz allgemein verbreiteter gegenteiliger Meinung erst erlernen muss. Dazu muss man mit Kunstwerken in Berührung kommen, mit ihnen vertraut werden, sie nicht mehr als fremd, als befremdlich empfinden. Diese Nähe zum Kunstwerk kann eine Artothek besonders gut vermitteln, besser als ein Museum, in dem man zu vieles in zu kurzer Zeit zu sehen bekommt. Über das Mittel des Ausleihens kann man Menschen Kunst nahebringen (im wahrsten Sinne des Wortes) und ihnen Freude und Verständnis für etwas vermitteln, das sie bisher nicht kannten oder aus Unverständnis ablehnten. Die europäische Kunst von der Renaissance bis etwa 1900 wird von der Bevölkerung weitgehend akzeptiert. Die Produkte unseres Jahrhunderts hingegen weigern sich viele Leute als Kunst anzuerkennen. Deshalb ist hier die Vermittlung besonders notwendig. Wenn es das Hauptziel einer Artothek ist, der modernen Kunst neue Freunde zu gewinnen, dann muss die Sammlung planvoll zusammengetragen werden. Man benötigt ein Konzept, in dem pädagogische und kunsthistorische Aspekte gleichermaßen berücksichtigt sind. Selbst bei der Beschränkung auf die Kunst unseres Jahrhunderts ergibt sich ein riesiges Sammelgebiet, das man weiter eingrenzen muss. Es bieten sich eine zeitliche und eine geographische Begrenzung an, eine finanzielle Begrenzung ist meistens unvermeidlich und aus mehreren Gründen auch durchaus vernünftig. Zeitliche Begrenzung Als erstes ist zu überlegen, wie eng man den Begriff "zeitgenössisch" fassen will. Am einfachsten ist die Festlegung auf ein Stichjahr, entweder für die Entstehung des Kunstwerkes oder für den Künstlerjahrgang (Geburtsjahr). Legt man z. B. 1970 als Entstehungsjahr fest, bedeutet das, überwiegend junge Künstler zu berücksichtigen, d. h. die Anschaffungspreise sind relativ niedrig. Die Zeitspanne, innerhalb derer gesammelt wird, ist überschaubar. Man hat also Chancen - einen vernünftigen Etat vorausgesetzt - einen guten Überblick über dessen Zeitabschnitt zusammentragen zu können. 1970 als Stichjahr heißt allerdings auch, dass wichtige Stilrichtungen der Moderne nicht oder bestenfalls mit Epigonen vertreten sind. Die Graphothek Berlin, die jedoch nur Arbeiten auf Papier sammelt, hat sich für das Stichjahr 1900 entschieden. Das lässt natürlich alle Stiltendenzen unseres Jahrhunderts zu, allerdings nur soweit sie sich graphisch äußern. Dank 20-jähriger Sammeltätigkeit mit festem Etat ist in der Berliner Graphothek eine Sammlung von derzeit ca. 4500 Blättern entstanden, die einen relativ guten Überblick über das graphische Schaffen des 20.Jahrhunderts bietet. Vollständigkeit kann man natürlich nie erreichen, immer werden wichtige Arbeiten, bedeutende Namen fehlen (schon aufgrund der Preisentwicklung bei den Expressionisten z. B.). Selbst ein Gebiet wie die Kunst nach 1945 bringt schon viele Probleme bei der Beschaffung und erfordert einigen finanziellen Einsatz. Für welches Stichjahr man sich auch entscheidet, wichtig ist es, der Sammlung einen zeitlichen Rahmen zu geben. Dass sich dann und wann auch ein Kunstwerk in die Sammlung einschleicht, das diese zeitliche Grenze überschreitet, ist die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Geographische Begrenzung Hier stellt sich die Frage, ob man die Sammlung international anlegen will, oder ob nur die Kunstszene des deutschen Sprachraums berücksichtigt werden soll. Auch eine Begrenzung auf einheimische Künstler ist denkbar, wobei zu klären ist, wie weit der Begriff "einheimisch" reicht. Wenn man nicht gerade in einer Kunstmetropole lebt, kann allerdings eine so eng gefasste Sammlung leicht einen provinziellen Touch erhalten. Die Begrenzung auf deutsche Künstler ist günstiger, weil sie eine Stilpluralität ermöglicht, die gerade für die zeitgenössische Kunst so typisch ist. Wer aber kann als deutscher Künstler angesehen werden? Soll die Staatsangehörigkeit, der Wohnsitz oder beides entscheiden? Beispiele: Nagaoka ist gebürtiger Japaner, er hat in Berlin studiert und hier entscheidende Erfolge erzielt. Marwan ist Syrer, er lehrt seit vielen Jahren als Professor an der Hochschule der Künste in Berlin. Fetting und Salome dagegen sind beide gebürtige Berliner, aber sie leben seit ihrem großen Durchbruch in New York. Sind alle als Berliner zu bezeichnen oder keiner? Man kann allzu formalistische Entscheidungen vermeiden, wenn man von einem zumindest zeitweisen Wirkungsbereich im deutschen Sprachraum ausgeht. Eine großzügige Auslegung wird der Sammlung jedenfalls zugute kommen. Der Vorteil der Begrenzung auf regionale Künstler besteht in einer logischerweise effizienteren Künstlerförderung, da keine zu große Streuung der Mittel erfolgt. Um dieser Aufgabe gereicht werden zu können, ohne den Aspekt der Vielfalt zu vernachlässigen, hat die Graphothek Berlin ihren Bestand ungefähr gedrittelt in Berliner Künstler (im weitesten Sinne), Deutsche Künstler (incl. DDR) und Künstler aus aller Welt. Die größten Bestandslücken treten natürlich bei der außereuropäischen Kunstszene auf, Da bleibt die Auswahl zufällig. Dennoch kann sie (trotz der zunehmenden Internationalisierung der Kunst) neue und belebende Aspekte einbringen. Ein so weitgefächertes Programm ist ein speziell großstädtisches, da es einerseits von größerer Finanzkraft und andererseits von der vermutlich höheren Konsensfähigkeit der Bewohner abhängig ist. Innerhalb der bisher abgesteckten Grenzen sollte man stilistisch und thematisch keine weiteren Einschränkungen vornehmen. Gerade für die zeitgenössische Kunst ist ja der Stilpluralismus so typisch, daher sollte er sich nach Maßgabe der vorhandenen Möglichkeiten auch im Bestand einer Artothek ausdrücken, und zwar auch dann, wenn bei bestimmten Stilrichtungen mit Desinteresse oder Protest zu rechnen ist. Es ist selbstverständlich, dass man nicht nur schwierige und spröde Kunst anbieten kann, mit der man nur die Kenner erreicht, die den Lernprozess durch Verleihen nicht nötig haben. Man braucht sozusagen "Einstiegsbilder", die auch Leute ansprechen, für die van Gogh's Sonnenblumen die Krönung der Moderne sind. Generell gilt natürlich, man soll stets das beste, hochwertigste seiner Gattung erwerben, dessen man habhaft werden und das man bezahlen kann. Nur mit Qualität kann man überzeugend argumentieren. Das bedeutet z. B., dass man sich gegen Laienkünstler (die oft außergewöhnlich spendenfreudig sind) abgrenzen muss. Das kann durch den Nachweis einer künstlerischen Ausbildung geschehen. Auch die Mitgliedschaft in einer anerkannten Künstlervereinigung oder die Teilnahme an wichtigen, bedeutenden Ausstellungen kann als Nachweis gelten. (Juryfreie Ausstellungen, Basare oder offene Kunstmärkte reichen natürlich nicht aus!) Die technische Qualität des anzukaufenden Werkes sollte einwandfrei sein. Schlechte Abgüsse, aufblätternde Tempera, Passerungenauigkeit bei Drucken, sich werfendes, verzogenes Papier bei Aquarellen, Collagen und Tiefdrucken etc. lassen erkennen, dass der Schöpfer des Werkes entweder sein Handwerk nicht versteht oder aber glaubt, bei einer Artothek komme es nicht so darauf an. Erkennbare technische Mängel eines Kunstwerkes fordern die typische Äußerung "Na so kann ich das auch" heraus, dem ist dann schwer etwas entgegenzusetzen. Bei der Anschaffung sollte man auch prüfen, ob die Technik material- und themengerecht angewendet wurde und wenn nicht, ob es dafür überzeugende Gründe gibt, z. B. Widersprüche als künstlerisches Mittel. Die künstlerische Qualität einer Arbeit zu beurteilen, wird immer ein schwieriges Problem sein, das kontrovers diskutiert wird. Ob ein Werk Kraft hat, etwas aussagt, spannend, erregend, neuartig ist, ob es kontemplativ wirkt, Suggestion hat, die Phantasie bewegt, reizt, ärgert u.s.w. wird individuell sehrverschieden beurteilt. Wichtig ist, dass es eine fühlbare Substanz hat, die über die reinen Äußerlichkeiten hinausgeht. Heute im Stile Dürers zu malen, mag kunstfertig sein, Kunst ist es nicht. Kunst muss uns angehen, sie muss zeitgemäß sein. Sich ausschließlich in Stilmitteln vergangener Epochen auszudrücken, ohne einen Zeitbezug herzustellen, ist langweilig und, da falsche Inhalte im falschen Gewand verkauft werden, meist Kitsch. Dergleichen anzubieten, überlässt man am besten den üblichen Gemäldehandlungen ("Echt Öl"), Artothekmittel sind dafür zu schade. Was also sollen die Artotheken anbieten? Generell kommen sämtliche Stilrichtungen des 20. Jahrhunderts in Frage, sofern sie sich in artotheksgeeigneten Objekten ausdrücken. Von der Abstraktion bis zum Fotorealismus ist prinzipiell alles geeignet, konkrete Kunst ebenso wie die kritischen Realisten. Man kann dem Benutzerinteresse (nicht dem Publikumsgeschmack!) durch Bildung von Schwerpunkten entgegenkommen, darf dabei aber nicht den Eindruck erwecken, man spiegele damit das gesamte Spektrum der modernen Kunst wider, oder die Sammlung entspreche den Gewichtungen in der Kunstszene. Bei der Auswahl der Objekte wird natürlich zu bedenken sein, dass sie zum "Gebrauch" im häuslichen Rahmen gedacht sind. Der Wunsch, durch das Wohnen mit einem Kunstgegenstand Freude, Genuss, Anregung zu erhalten, wird bei der Mehrzahl der Entleiher im Vordergrund stehen. Die Auseinandersetzung mit der Welt und demzufolge auch mit diesbezüglicher Kunst soll möglichst "draußen" stattfinden. Dieses häusliche Harmoniebedürfnis berechtigt nicht zu Hochmut, auch wenn es sich manchmal kurios zu äußern scheint (z. B. Bilder mit einem Stück Tapete in der Hand auszusuchen). Stichwortartig und stark verallgemeinernd lässt sich zusammenfassen, was von der Mehrzahl der "Artothek-Anfänger" abgelehnt wird: Grafiken in schwarz/weiß ("Bilder ohne Farbe sind mir zu trist), ungegenständliche Bilder, politische und/oder Tabus durchbrechende Kunst, kleinteilig-verwirrende oder allzu sparsame Komposition. Zustimmung findet dagegen: Farbiges (bevorzugt Aquarelle), Gegenständliches ("ich muss etwas erkennen können"), Ortsbezogenes, Landschaften, alle Darstellungen, die technisch schwierig zu sein scheinen ("das könnte ich nicht so zeichnen"). Dass den Vorlieben und Abneigungen der Artothekbenutzer hier so breiter Raum gegeben wird, bedeutet nicht, sie für das wichtigste Anschaffungskriterium zu halten! Es muss keineswegs jeder goutieren, was die Artothek anbietet. Es soll ja genau das, was bisher abgelehnt wurde, verständlich und vertraut gemacht werden. Also gehören gerade solche eher als schwierig zu bezeichnenden Kunstwerke in den Artotheksbestand. Es muss jedoch erklärt werden, welche Kunstwerke spontan Zustimmung finden. Mit deren Hilfe kann es gelingen, ein kunstfremdes Publikum zur Ausleihe zu animieren. Es bedeutet z. B. keine Herabsetzung des Qualitätsanspruchs, erhöht aber die Akzeptanz, wenn man bevorzugt farbige Graphik in die Sammlung aufnimmt. Dagegen erweist man der Kunst einen Bärendienst, wenn man seinen Bestand mit nachimpressionistischen Landschaftsaquarellen füllt, um sich an ein ignorantes Publikum heranzupirschen mit dem Argument, so schlimm sei die moderne Kunst doch gar nicht. Bietet eine Artothek einen hohen Prozentsatz an "gängigen" Werken an, so verführt das leicht zu der Annahme, dass dies wirkliche moderne Kunst sei, dass sie nämlich eben so beschaffen sei, wie es dem eigenen Kunstbegriff entspricht. (Die Kunst hat in erster Linie schön zu sein, sie soll den Alltag überhöhen. Alles andere sind eben doch nur Produkte von Spinnern und Scharlatanen.) Durch eine Anhäufung von Minderwertigem an quasi offiziellem Ort mit museumsähnlichem Charakter wird leicht als Kunst deklariert, was bestenfalls Kunstgewerbe ist. So bestätigt und verfestigt man genau die Vorurteile, die zu bekämpfen man ausgezogen war. Glücklicherweise gibt es auch in den Bereichen, die breitere Zustimmung finden, gute Kunstwerke, deren man sich nicht schämen muss. Um auch "Anfängern" zu gefallen, ist man nicht auf Schund angewiesen. Eine ausgewogene Mischung an Themen und Stilen wird dem Gedanken der Kunstvermittlung am ehesten gerecht. Wo für die Qualität die sogenannte "untere Grenze" liegt, ist schwierig zu bestimmen. Sie wird in jeder Artothek anders definiert werden. Eine obere Grenze für Qualität gibt es nicht, es sei denn durch die begrenzten finanziellen Mittel. Auch in der Kunst gilt: Gutes hat seinen Preis. Der Aufbau einer Sammlung ist immer eine Gratwanderung. Nie ist es allen recht zu machen, Fehler, Missgriffe, Irrtümer kann man nicht ausschließen, zuviel Persönliches steckt in Ankaufsentscheidungen. Jedes noch so eloquent begründete und scheinbar objektive Sachurteit wird letztlich vom Geschmacksurteil, das gänzlich subjektiv ist, mitbestimmt. Wenn man einen Bestand, egal weicher Größenordnung, aufbauen will, sollte man mit Sachverstand (aber auch Einsicht in die eigene Fehlbarkeit), Liebe zur modernen Kunst und der Überzeugung, etwas Nützliches zu tun, an diese Aufgabe gehen. Eine erfolgreiche Artothek wird dann hoffentlich der Lohn für die Mühen sein. | |||
2 Der Erwerb 2.1 Spende, Schenkung, Leihgabe, Kommission, Kauf | |||
Die Möglichkeiten, den Bestand zu erweitern, sind vielfältig. Kostenlose Möglichkeiten, die Sammlung zu vergrößern, sind z. B. der Erhalt von Schenkungen, von Spenden (erbetene und unerbetene) und Nachlässen. Man kann Leihgaben aufnehmen und auch Exponate in Kommission nehmen. Die nicht unerheblichen Rechtsprobleme zu diesem Thema werden im Kapitel "Recht" behandelt. Hat man Leihgaben und/oder in Kommission genommene Arbeiten im Bestand, bedeutet das, dass sich die Sammlung ständig verändert. Für einen planvollen Bestandsaufbau ist das problematisch, außerdem sehr zeitaufwendig. Allerdings lässt sich so das Angebot der Artothek ohne große Kosten erweitern. Auch durch die Annahme von Spenden und Schenkungen kann man seine Sammlung vergrößern. Man darf sich jedoch nicht scheuen, dergleichen auch zurückzuweisen. Egal ob Ankauf, Spende, Leihgabe, Nachlass etc., alles muss den gleichen Anschaffungsregeln unterworfen werden. Sonst wird man schnell von unerwünschten Geschenken überflutet. Spender erwarten auch oft besondere Dankbarkeit z. B. in Form späterer Ankäufe. Es ist natürlich möglich, Spender in besonderen Fällen zu ehren, etwa durch eine Veranstaltung, öffentliche Erwähnung, Spenderlisten, Zeitungsartikel. Das ist jedoch nicht ungefährlich, da auch unliebsame Spender bald gleiches Recht für sich fordern. Man darf übrigens nicht glauben, dass man unbequeme Geschenke einfach im Depot verschwinden lassen könne. Die Geber überwachen oft penibel die Ausleihe ihrer Gaben und melden Wünsche bezüglich der Rahmung und Präsentation an. Man darf sich auf keinen Fall auf schriftliche Verpflichtungen bezüglich Spenden, Nachlässen und Schenkungen einlassen. Auch Vermächtnisse sollte man ablehnen, wenn sie nicht in die Sammlung passen oder gar mit nicht akzeptablen Auflagen verbunden sind. Geschenkte Objekte können nicht beliebig getauscht oder verkauft werden! Im Gegensatz zu den unerwünschten Spenden kann man auch Geschenke erbitten (ein Verfahren, das in der Graphothek Berlin vornehm als "graphothieren" bezeichnet wurde und dazu diente, die ersten 130 Graphiken zusammenzutragen). Zwar wird man nur da tätig, wo man erwarten kann, dass man in die Sammlung passende Stücke erhält, aber arrivierte Künstler spenden ungern (zugegebenermaßen werden sie mit derartigen Ansinnen überschüttet). Junge Künstler werden bereitwilliger sein, sind aber im allgemeinen sehr auf den Verkauf angewiesen. Sie zum Spenden zu animieren, heißt bei nahe eine Zwangslage ausnutzen. In wie weit man bei einem Ankauf durchblicken lassen kann, dass Spenden willkommen sind, hängt sehr von Taktgefühl des Bittenden und von der Situation ab. Man muss sich hüten, dabei den Eindruck zu erwecken, der Kauf erfolge nur bei gleichzeitiger Spendenbereitschaft. Falls es zu einem Geschenk kommt, hat der Geber Anrecht auf eine Spendenbescheinigung für die Steuer. Man darf sich bei der Festlegung des Wertes aber nicht auf Fantasiepreise einlassen. Die Steuerbehörden haben sehr zutreffende Vorstellungen vom Wert solcher Geschenke und können daher im Zweifelsfalle dem Aussteller solcher Bescheinigung unangenehme Rückfragen stellen. | |||
2.2 Organisatorischer Ablauf | |||
Die wichtigste Frage lautet: Wer bestimmt über den Ankauf? In Frage kommen: Die Leitung der Institution, der die Artothek angegliedert, bzw. die ihr übergeordnet ist, die Leitung der Artothek, politisch Verantwortliche wie z. B. Kulturdezernenten, externe Sachverständige.
Es stellt sich auch die Frage, ob eine Jury gebildet werden soll, und wie viele Mitglieder ihr angehören sollen. Von der Alleinentscheidung bis zu vielköpfigen Kommissionen ist alles denkbar, aber nicht gleichermaßen vorteilhaft. Selbstverständlich ist das oberste Gebot für Juroren die Sachkenntnis. Wer sie nicht mitbringt, sollte über Ankäufe nicht entscheiden, egal ob er Bürgermeister und damit vielleicht der politisch Verantwortliche ist, oder Artothekmitarbeiter, wenn man zu dieser Tätigkeit unter Umständen nicht ganz freiwillig abgestellt worden ist. Ohne Kenntnis und Liebe zur Sache können keine vernünftigen Kaufentscheidungen gefällt werden. Ist nur eine Person für den Ankauf zuständig, sind Ankäufe schnell abgewickelt. Es kann eine sehr geschlossene, einheitliche Sammlung entstehen. Sie ist dann allerdings von dieser Person deutlich geprägt, was zu sehr individuellen, fast "genialen" Lösungen führen kann. Schwierigkeiten stellen sich aber bei personellem Wechsel ein, weil dann die Kontinuität nicht gewahrt werden kann. Außerdem ist Voraussetzung für gutes Gelingen eine besondere Persönlichkeit, die mit großem Verantwortungsbewusstsein und nicht zu subjektiv entscheidet. Mehr Pluralität, mehr Berücksichtigung verschiedener Interessen, auch ein Mehr an Wissen und Information gewährleistet eine Jury. Dieser können Sachverständige, Vertreter verschiedener Institutionen wie auch Privatpersonen angehören. Es ist sinnvoll, auch der Artotheksleitung Stimme zu geben, da sie sowohl die Benutzerinteressen wie auch die praktischen und konservatorischen Probleme hautnah kennt. Die Jury soll unabhängig sein und nicht etwa nur Vorschlagsrecht haben. Ankauf auf politischer Ebene, z.B. durch Stadtverordnete oder Bürgerdeputierte, sollte vermieden werden. Wer an der Jury beteiligt ist, sollte nicht eigene Arbeiten oder eigenen Besitz zum Kauf anbieten. Die guten Sitten verbieten, dass Jurymitglieder aus ihrer Tätigkeit Vorteile ziehen, das gilt auch für die in der Jury befindlichen privaten Experten, Künstler etc. Theoretisch ist die Zahl der Jurymitglieder beliebig. Als praktikabel erweisen sich jedoch nur kleinere Zusammensetzungen. Bei mehr als neun Mitgliedern ergeben sich heillose Terminschwierigkeiten, die Diskussionen können ins Uferlose gehen, erstaunliche gruppendynamische Prozesse, die mit der Sache nichts mehr zu tun haben, können die Ankaufsentscheidungen blockieren. Eine klug zusammengestellte Jury wird durchaus kontrovers diskutieren und dann zu wechselnden Mehrheiten kommen, die die Vielfalt in der Sammlung garantieren. Die Mitgliederzahl sollte jedenfalls ungerade sein. Es muss festgelegt werden, unter weichen Bedingungen die Jury als beschlussfähig gilt, und welche Mehrheitsverhältnisse erforderlich sein sollen (einstimmig, 2/3, einfach). Jurysitzungen öffentlich abzuhalten, ist nicht ratsam. Einmal können die eingelieferten Objekte nicht so gut geschützt werden, zum anderen bereichern die unliebsamen Kommentare von Sachfremden die Diskussion nur selten. Auch sollten ablehnende Urteile nicht publik werden, sondern im Interesse der betroffenen Künstler dem Stillschweigen unterliegen. Ob die Sitzungstermine und ihre jährliche Zahl festgelegt sind oder nach Bedarf anberaumt werden, ist eine Ermessensfrage, die abhängig ist von den Modalitäten der Bereitstellung und der Höhe des Etats. Steht nur einmal im Jahr Geld zur Verfügung, steht auch der Termin für die Ankaufssitzung fest. Auf jeden Fall sollte die Jury möglichst beweglich sein, d. h. der Rahmen sollte abgesteckt sein, aber innerhalb bestimmter Grenzen muss die Jury auch mal ad-hoc entscheiden können, z. B. bei Schenkungen oder bei besondere Eile gebietenden Gelegenheiten. Entschieden werden muss auch die Frage, ob nach Fotos, Abbildungen und/oder schriftlichen Unterlagen erworben werden kann, oder ob immer die Originale vorliegen müssen. Ansichtssendungen von Galerien sind zwar üblich, aber bei empfindlichen oder schwergewichtigen Kunstwerken problematisch. Aus dem Ausland werden wegen der Schwierigkeiten mit dem Zoll überhaupt keine Kunstwerke zur Ansicht geschickt. Die Einreichung der Arbeiten sollte immer auf Risiko des Einsenders gehen. Man kann auch die Rücksendung zu dessen Lasten vornehmen. Die Portokosten können ganz erheblich zu Buche schlagen. Wenn man allerdings zur Einreichung aufgefordert hat, ist es üblich, die Kunstwerke auf Kosten der Artothek zurückzuschicken. Es vereinfacht die Arbeit der Jury, wenn den angebotenen Arbeiten außer einer Preisliste auch biographisches Material beigefügt ist. Es erleichtert später auch die Einarbeitung in den Katalog. Dass man mit den zur Ansicht überlassenen Kunstwerk sorgfältig umgeht und dafür sorgt, dass ihnen kein Schaden zugefügt wird, versteht sich von selbst (verschlossen, trocken und abgedeckt lagern). Ansichtssendungen sollten nur dann entgegengenommen werden, wenn sichergestellt ist, dass in angemessener Zeit über Ankauf entschieden wird. Wenn also z. B. im März der Ankaufsetat erschöpft ist, kann man nicht im April Arbeiten annehmen und die Künstler auf das nächste Etatjahr vertrösten. Es ist sinnvoll, zu überlegen, wie viele Arbeiten eine Jury bei einer Sitzung bewältigen kann, damit nicht unter Zeitdruck entschieden werden muss. Es empfiehlt sich auch, die Zahl der Arbeiten, die ein Künstler einreichen kann, nach oben und unten zu begrenzen, z. B. mindestens zwei, damit man sich besser ein Urteil bilden kann, aber nicht mehr als 8, damit ein Künstler nicht über Gebühr die Jury beansprucht. Den Künstlern sollte mitgeteilt werden, ob Bilder und Graphiken gerahmt sein müssen. Gerahmt sind die Kunstwerke gut zu handhaben, aber die Lagerung ist schwieriger. Künstler befürchten übrigens gelegentlich eine schlechtere Beurteilung ihrer Arbeiten, wenn sie ungerahmt vorgelegt werden, im Vergleich zu gerahmt und passepartouriert eingereichten Graphiken. Es ist ratsam, alle wichtigen Juryentscheidungen schriftlich zu fixieren (Sitzungsprotokolle). Bei Nachfragen, Beschwerden, Irrtümern ist die Klärung dann leichter. Die Entscheidung der Jury teilt man den Anbietern möglichst schriftlich mit (kann ein Formblatt sein), und natürlich kann man die Kunstwerke nur gegen Rechnung bezahlen (nicht etwa "cash"). Wie man von Künstlern immer wieder hört, sind alle diese Dinge leider nicht selbstverständlich. Dass man künstlerischer Tätigkeit mit Achtung begegnet, auch dann, wenn das Ergebnis unbefriedigend ist, ist selbstverständlich; Künstler sind weder Bittsteller noch Vertreter. Man kann die Ankaufsbedingungen seiner Artothek schriftlich festlegen, das erleichtert bei Nachfragen die Antwort und macht deutlich, dass nicht Willkür über einen Ankauf entscheidet, sondern dass es feste Regelungen gibt. Der Vorgang des Ankaufs wird transparenter. | |||
2.3 Bezugsquellen | |||
Ankauf beim Künstler: Beim Künstler direkt zu kaufen hat viele Vorteile. Man hat große Auswahl und gewinnt einen Überblick über das Werk. Dem Künstler kommt die volle Kaufsumme zugute. Hat er keine Galerie, kann er die Preise selbst bestimmen, d. h. er kann der Artothek eventuell entgegenkommen. Vertreibt eine Galerie seine Arbeiten, darf er den Galeriepreis nicht unterbieten, er kommt sonst in große (berechtigte) Schwierigkeiten mit seinem Galeristen. Die Frage, ob man bei den Preisen handeln soll, muss oder darf, ist ebenso delikat wie bei den Spenden zu behandeln. Es ist eine Sache des Verhandlungsgeschicks und der Situation. Leider wird man beim Herunterhandeln gerade da Erfolg haben, wo der Künstler das Geld am nötigsten braucht. Renommierte Künstler befassen sich oft nicht mehr selbst mit dem Verkauf, bei ihnen kommt man auch kaum auf die Idee, über Preise zu reden. Der Ankauf beim Künstler ist als direkte Künstlerförderung zu betrachten.
Ankauf in der Galerie
Galerien bieten viel Verschiedenes konzentriert an einem Ort. Gute Kontakte zu Galeristen sind empfehlenswert. Oft erhält man von ihnen gute Tipps und wertvolle Kontakte. Auch Galeristen jedenfalls die seriösen) unterstützen Künstler und haben eine wichtige Rolle in der Künstlerförderung. Dennoch ist es hier weder unfein, noch unüblich, jedenfalls für öffentliche Ankäufer, nach Preisnachlässen zu fragen (sog. Museumsrabatt). Feste Prozentsätze gibt es allerdings nicht, ein Recht auf Preisnachlass schon gar nicht. Es ist wahrscheinlich, dass man im Falle mehrerer ortsansässiger Galerien nicht bei allen gleichermaßen einkauft. Dass man sich damit eventuell den Zorn derer zuzieht, bei denen man nichts erwirbt, muss man aushalten. Parität ist hier nicht gefragt. Kunstverlage und Kunstversandhandel Bei Kunstverlagen ist oft die Zahl der vertretenen Künstler sehr groß, d. h. man hat eine gute Auswahl. Da sie im allgemeinen überregional orientiert sind, kommt man durch sie auch an Künstler heran, die regional nicht vertreten werden. Sehr interessant sind auch oft deren bebilderte Kataloge, Neuerscheinungsankündigungen etc. Es lohnt sich, dergleichen zu sammeln. Besonders günstige Preise darf man allerdings nicht erwarten, es sei denn, der Verlag (Vertrieb) gewährt den sog. Wiederverkaufsrabatt (kann bis 50% gehen!). Dann kauft man ungewöhnlich günstig. Ob man in den Genuss dieses Rabatts kommt, ist eine Frage des Verhandlungsgeschicks und der Bereitwilligkeit des Verlages. In diesem Zusammenhang sind auch ausländische Verlage interessant, deren Angebote je nach Wechselkurslage sehr günstig sein können. Außerdem bekommt man weitergehende Kontakte und kann so manche Entdeckung für seine Sammlung machen. Ausländische Verlage werden ihre Kontakte oft über deutsche Vertreter herstellen. Nicht immer sind diese Vertreter vom Fach. Viele von ihnen offerieren Kunstwerke wie jede beliebige Ware, nur eben mit dem nötigen Schickeria-Vokabular ausgestattet (von "das hat was" bis zu "sehr nobel in der Anmutung"). So mancher kennt nicht einmal den Unterschied zwischen einem Siebdruck und einem Litho, findet dafür die Graphik aber "sehr gut gemacht" oder "ungeheuer aufwendig gedruckt". Das Auftreten solcher "Repräsentanten", wie sie sich gern nennen, lässt jedoch keine Rückschlüsse auf die Qualität der angebotenen Kunstwerke zu. Der Verlag mag schlecht vertreten sein, kann aber durchaus seriös sein. Mitgliedschaft in Graphik-Kreisen, Büchergilden, Kunstvereinen, Gesellschaften etc. Im allgemeinen muss man gegen einen geringen Jahresbeitrag die Mitgliedschaft erwerben. Dafür erhält man entweder einen Rabatt beim Kauf von Kunstwerken - meist muss eine bestimmte Menge abgenommen werden -, oder es erscheinen in regelmäßigem Turnus Auftragsarbeiten, die sehr preiswert sind, aber abgenommen werden müssen. Ob eine Mitgliedschaft interessant ist, hängt von der Übereinstimmung des Sammlungskonzepts mit dem Programm der entsprechenden Veranstalter ab. Gesellschaften und Kunstvereine geben gegen Mitgliedsgebühr Jahresgaben preiswert oder kostenlos ab. (Bei Editionen von Kunstkreisen und auch Beigaben zu Zeitschriften, Katalogen etc. ist übrigens mit einer Wertsteigerung nicht zu rechnen.) An dieser Stelle kann man auch auf den Kauf von Künstlerkalendern, Mappenwerken und Publikationen mit beigegebenen Originalen hinweisen. Da die Auflage meist hoch ist, ist der Preis oft gering. Allerdings sind selten alle Arbeiten einer solchen Edition gleichwertig. Man muss damit rechnen, dass man nicht alles gebrauchen kann. Auktionen Der Kauf auf Auktionen hat zwar seinen besonderen Reiz, sollte aber nur bei namhaften Häusern erfolgen. Dort ist die Wahrscheinlichkeit ziemlich groß, dass die angebotenen Werke sowohl echt als auch korrekt erworben sind (kein Diebesgut). Der Kauf auf Auktionen ist interessant, wenn man die Sammlung durch bestimmte Stücke, die sonst nicht mehr im Handel sind, komplettieren möchte. Man kann dann günstig kaufen, wenn man Arbeiten sucht, die gerade nicht "en vogue" sind. Manchmal bleiben die Gebote verblüffend niedrig. Dennoch ist vor Auktionskäufen etwas zu warnen. Nur wer den Betrieb kennt, kauft gut und vernünftig. Außerdem erfordert es einen kühlen Kopf und Seelenstärke, auf ein Kunstwerk bei Überschreiten des selbstgesetzten Limits zu verzichten. Bereits bei der Vorbesichtigung muss man sich ein Limit setzen und dann ehern daran festhalten. Die Vorbesichtigung ist erforderlich, um die Angebote in Ruhe betrachten zu können und ihren Erhaltungszustand und die Katalogangaben zu überprüfen. Es besteht auch die Möglichkeit, nach Ablauf der Auktion aus der sog. Nachlese zu kaufen. Exponate ohne Limit werden oft einige Tage später 20% unter dem Schätzpreis verkauft. Das kann günstig sein. Damit sind die wichtigsten Erwerbsquellen für Artotheken mit ihren Vor- und Nachteilen aufgeführt. Welche Möglichkeiten man wahrnimmt, was für die einzelne Institution mit ihren Ankaufsbedingungen in Übereinstimmung zu bringen ist, muss jede Artothek für sich entscheiden. Es sollte hier nur einmal generell auf die vielfältigen Quellen hingewiesen werden. Allgemein ist zu den Preisen zu sagen, dass Preisvergleiche möglich sind und sich auch lohnen. Das Studium von verschiedenen Auktionskatalogen oder auch von sog. Auktionspreisspiegeln - die allerdings in der Regel nur namhafte Künstler auflisten - ist unerläßlich, um einen ungefähren Eindruck vom Markt zu erhalten. Um einigermaßen beurteilen zu können, ob Preise angemessen sind, ist eine dauernde Beobachtung des Kunstmarktes und seiner Publikationen erforderlich. Zum Schluss noch eine Warnung vor sog. "Schnäppchen". Wenn von privater Seite Originale von Rang und Namen angeboten werden zu sehr niedrigen Preisen, ist höchste Vorsicht geboten. Das ist kein übles Misstrauen, sondern gesunde Skepsis. Bei Objekten von geringerem Wert kann man eine Expertise nicht verlangen, es lohnt auch nicht, sie auf eigene Kosten erstellen zu lassen. Dann lässt man besser die Finger vom Kauf. Vor die Wahl gestellt, eine kolorierte Zille-Lithographie billig zu kaufen und dabei einer der häufig vorkommenden Fälschungen aufzusitzen oder auf das gute Stück zu verzichten und dabei möglicherweise eine echte Gelegenheit zu verpassen, sollte man es vorziehen, auf der sicheren Seite zu liegen. (Im Falle des Zille-Lithos, das der Graphothek Berlin angeboten worden war, handelte es sich wirklich um eine Fälschung.) Bei einem ungewöhnlich billigen Angebot liegt auch der Verdacht nahe, dass es sich um Diebesgut handelt, das bedeutet bei Offenbarwerden den Verlust von Geld und Ware! Schnäppchen sind das Vergnügen privater Sammler, mit allem dazugehörigen Risiko. | |||
2.4 Überlegungen zum Begriff des Originals | |||
Ausgehend davon, dass Artotheken u. a. nur Originale sammeln, muss man diesem Begriff einige Aufmerksamkeit schenken. Deshalb möchte ich zum Schluss noch einige Anmerkungen machen zu der Frage, wie eng soll eine Artothek die Grenzen bei der Definition des Begriffs Original ziehen, wo beginnt die Reproduktion?
Als Reproduktion gilt unbestritten, was ein vorhandenes, gestaltetes Kunstwerk abbildet und vervielfältigt, also die Wiedergabe einer Vorlage in verändertem Maßstab und in veränderter Technik (Franz Marcs "Turm der blauen Pferde" im Offsetdruck und Posterformat). Eine solche Reproduktion gibt nicht den originalen Eindruck wieder, auf den es doch ankommt. Das gleiche gilt für sog. Reprints, das sind fotomechanische oder elektrostatische Vervielfältigungen, z. B. von Holzschnitten. Es trifft ebenso zu für Repliken von Plastiken, wie sie z. B. von Gipsformereien vorgenommen werden. Das Erscheinungsbild ist dabei dem Original oft erstaunlich ähnlich, der wesentliche Unterschied liegt im Material (Gips statt Marmor, Kunststoff statt Elfenbein). Übrigens werden oft vollmundige Materialbezeichnungen erfunden, z. B. polymergebundene Bronce, granulierter Lapislazuli. Man verspricht gern, die Replik sei materialadäquat. Dass dergleichen für Artotheken nicht in Frage kommt, ist eindeutig. Schwieriger ist bereits die Entscheidung bei den sog. Dietz-Repliken und bei Faksimiles. Die Dietz-Repliken sind täuschend ähnliche Kopien sowohl von Gemälden wie auch von allen zeichnerischen Techniken, Pastellen, Aquarellen, Tempera u. a. Diese Kopien werden mit den Originalmaterialien (Untergründe und Farben) auf raffiniertem drucktechnischen Wege gewonnen. Faksimile-Drucke sind ebenfalls außergewöhnlich vorlagengetreue Wiedergaben. Zustand, Papierfarbe und -qualität, Prägungen, Größenverhältnisse etc. entsprechen weitestgehend der Originalvorlage. In beiden Fällen wird die Vervielfältigung nicht verschwiegen und Echtheit trotz verblüffender Ähnlichkeit nicht vorgetäuscht. Dietz-Repliken und Faksimiles wollen nicht mehr sein, als sie sind. Ob man sich dazu entschließt, solche Dinge in eine Artothek aufzunehmen, z. B. um sie für Unterrichtszwecke an Schulen etc. zu verleihen, ist eine Frage des Prinzips bzw. des Selbstverständnisses einer Artothek. Es spricht dafür der moderate Preis, gemessen an dem des hochkarätigen Originals. Dennoch sind beide Techniken auf Grund der sorgfältigen und aufwendigen Herstellung nicht als billig zu bezeichnen. Da das Kunstwerk in seinem ursprünglichen Erscheinungsbild wiedergegeben wird, erfährt der künstlerische Wert keine Einbuße. Beschädigung oder Verlust sind keine Katastrophen, diese Dinge sind ersetzbar. (Man denke an historische Bauwerke, die längst und mit allgemeiner Billigung von Kopien geziert werden; die Originalstatuen stehen im Museum.) Außerdem kann man den Entleihern Kunstwerke von hohem Rang nahebringen, die im Original zu verleihen, niemandem in den Sinn käme. Die Frage, ob und zu welchem Zweck man solche Reproduktionen in die Sammlung aufnehmen will, muss jede Artothek für sich beantworten. Zu klären ist auch, was man bei Druckgraphik noch als Original ansehen will. Die Maßstäbe, die Sammler an dergleichen anlegen, sind in erster Linie an Seltenheit und Kostbarkeit = Wertsteigerung orientiert, für Artotheken sind sie nicht von Bedeutung. Diese Punkte sind für eine Artothek eher hinderlich, da sie die Verleihbarkeit (wegen der Haftung im Falle einer Beschädigung) zweifelhaft erscheinen lassen. Auf den künstlerischen, nicht auf den materiellen Wert sollte es einer Artothek ankommen. Daher sind die Fragen der Auflagenhöhe zweitrangig, vorausgesetzt, die Drucke sind technisch einwandfrei (als z. B. Radierplatten verstählt, damit auch der 1000. Abzug noch alle Feinheiten des ersten zeigt). Dass Druckgraphiken von renommierten Künstlern meistens nicht mehr selbst gedruckt werden, ist allgemein bekannt. Wie hoch der eigene handwerkliche Anteil des Künstlers wirklich ist, und wie viel ein guter Reprofotograf und die Druckwerkstatt dazutun, ist in all den Fällen, wo man nicht von des Künstlers Radierpresse weg kauft, nicht mehr festzustellen. Sofern man davon ausgehen kann, dass ein Werk in der angebotenen Form den Intentionen des Künstlers entspricht, kann man es als Original-Druckgraphik akzeptieren. Zeichen des Einverständnisses mit dem Druck ist im allgemeinen die handschriftliche Signierung des Künstlers, die Legitimierung. Eben diese eigenhändige Unterschrift verteuert wegen der Echtheitsgarantie das Blatt. Wenn aber auf Grund der Herkunft der Graphik sicher ist, dass sie vom Original-Stein, der Original-Platte, Sieb etc. gedruckt ist, darf sie für eine Artothek auch unsigniert sein, was den Preis erheblich mindert (bei einem Miro z. B. um 2 Kommastellen!). Die Qualität wird ja nicht angetastet. Wenn man wegen der möglicherweise massenhaften Verbreitung solcher Drucke keine Verständnisschwierigkeiten mit dem Begriff Original bekommt (auch eine Druckgraphik in 20iger Auflage ist ja nicht mehr einmalig), kann man gute Kunst für wenig Geld zur Verfügung stellen. Man hat dann die Möglichkeit, Bücher oder Zeitschriften (manche sind darauf spezialisiert, z. B. Derriäre le miroir, von Maeght verlegt) mit Original-Graphik-Beilagen zu erwerben. Wichtig ist dabei natürlich, dass das beigegebene Blatt nicht inhaltlich oder optisch vom Kontext des Buches abhängig ist, durch Herauslösen aus dem Zusammenhang also unverständlich oder unvollständig wird. Die Grenzen zwischen Original und Reproduktion sind durch die fast unbegrenzten Möglichkeiten des Druckens und Vervielfältigens sehr fließend geworden. Seit es für Graphik einen Markt gibt, ist es mit dem Gewissen vieler Künstler, Drucker und Galeristen, die mit Produktion, Herstellung und Vertrieb zu tun haben, bergab gegangen. Die ahnungslosen, gutgläubigen Käufer werden mit wohlklingenden Bezeichnungen der Papierqualität und der Druckwerkstatt getäuscht. Auflagebezeichnungen werden fantasievoll umgangen oder geschönt, manchmal auch einfach nicht eingehalten. Neuauflagen erscheinen und zählen lustig weiter, römisch gezählte Epreuve d'ArtisteExemplare übersteigen die Auflage für den Verkauf etc. etc. Manche Künstler genieren sich auch nicht, reine Offset-Reproduktionen oder Fotowiedergaben zu signieren. Durch diese Praktiken ist die originale Druckgraphik leider in den letzten Jahren etwas in Verruf gekommen. Man muss im Einzelfall entscheiden, wo die Grenze des Erträglichen liegt. Eine hohe Auflage muss noch kein Grund zur Ablehnung sein, eine durch Manipulation niedrig erscheinende Auflagenhöhe ist jedoch schlichtweg Betrug, den man durch Ankauf nicht noch unterstützen sollte. Über das Thema Druckgraphik als Original ließe sich noch vieles sagen, als Denkanstoß mag das bisherige genügen. Wichtig ist, dass man sich für eine Linie entscheidet und versucht, sie durchzuhalten. Sonst enthält die Sammlung ein kunterbuntes Durcheinander von echten und reproduzierten Stücken, das für die Entleiher nicht zu durchschauen ist. Natürlich wird man bemüht sein, eine Sammlung zusammenzutragen, die den selbstgewählten Ansprüchen, den Wünschen der Entleiher, den Bedürfnissen der Künstler, den Erfordernissen der Kunst gerecht wird. Die Kosten dafür sollen sich in Grenzen halten, der Bestand aber dennoch hochwertig sein und scharfen Kritikeraugen standhalten können. Kurzum, man hofft, die Quadratur des Kreises zu finden. Aber trotz aller Mühe, Sachkenntnis und Begeisterung wird die Sammlung stellenweise lückenhaft bleiben, werden sich Stücke einschleichen, die eigentlich nicht hineingehören, wird es Fehlkäufe geben. Das lässt sich nicht verhindern und geht großen Museen ebenso. Trotz aller Unvollkommenheiten kann ein Artothekbestand interessant, lebendig und anziehend sein und die Aufgabe erfüllen, die man ihm zugedacht hat. | |||
Literatur: Lapaire, Claude. Kleines Handbuch der Museumskunde. Stuttgart, Haupt 1983 Klein, Heijo. DuMont's kleines Sachwörterbuch der Drucktechnik und grafischen Kunst. Köln, DuMont, 1979 zurück zur Literaturübersicht |